Hamburger Eltern starten neuen Volksentscheid

Dieser Artikel ist heute im Hamburger Abendblatt erschienen:

Von Andreas Dey, Elisabeth Jessen 20. September 2010, 05:42 Uhr

Die Volksinitiative “Kita-HH” will die Kita-Gebühren kippen. Es gibt scharfe Proteste vor der heutigen Sparklausur des Hamburger Senats.

Hamburg. Dem Hamburger Senat droht nach der erfolgreichen Initiative gegen die Primarschule ein neuer Volksentscheid. Der Landeselternausschuss Kindertagesbetreuung Hamburg (LEA), der die Interessen von Eltern an 990 Kitas vertritt, will heute unmittelbar vor Beginn der mit Spannung erwarteten Sparklausur des Senats im Rathaus die Volksinitiative “Kita-HH” anmelden. Sie fordert einen Rechtsanspruch auf eine kostenfreie sechsstündige Betreuung für Kinder vom vollendeten zweiten Lebensjahr bis zum Schuleintritt. Nur für darüber hinausgehende Betreuung sollen die Familien an den Kosten beteiligt werden. Außerdem sollen generell keine Pauschalbeiträge wie das kürzlich eingeführte Essensgeld mehr erhoben werden dürfen.

Im ersten Schritt benötigt die Volksinitiative nun 10.000 Unterschriften. Kommen diese Stimmen zusammen, kann ein Volksbegehren angemeldet werden. Ist auch das erfolgreich, folgt der Volksentscheid.

“Wir erhoffen uns eine breite Diskussion über den Stellenwert der frühkindlichen Bildung in dieser Stadt”, sagte LEA-Sprecherin Claudia Wackendorff. Im vorschulischen Bereich finde die entscheidende Prägung der Kinder statt. Gerade in einer Stadt wie Hamburg, in der 43 Prozent der Unter-15-Jährigen einen Migrationshintergrund haben, müsse diese Eingangsstufe zum Bildungsbereich gestärkt werden.

“Die letzten Äußerungen von Bürgermeister Christoph Ahlhaus lassen allerdings keine Zweifel daran, dass er und sein Senat keine weiteren Investitionen in die frühkindliche Bildung vornehmen werden”, kritisierte der LEA. Ahlhaus hatte in seiner Regierungserklärung betont, dass für die Rücknahme der umstrittenen Kita-Gebühren-Erhöhung “kein Raum” sei. Die Elternbeiträge waren zuletzt um bis zu 100 Euro pro Kind und Monat erhöht worden.

Dagegen hatte der LEA im Juni im Rahmen einer Volkspetition 32.922 Unterschriften eingereicht (erforderlich waren 10 000). Daraufhin hätte sich die Bürgerschaft mit dem Thema beschäftigen müssen – was aber noch nicht geschehen ist. Nun folgt die Volksinitiative. “Ich bedaure den Schritt des LEA sehr”, sagte Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU). “Die Forderungen sind völlig maßlos und würden mehr als 200 Millionen Euro jedes Jahr zusätzlich kosten.” Das würde andere Bereiche in Hamburg über Gebühr belasten.

Noch vor der heute beginnenden dreitägigen Sparklausur, auf der der Senat Ausgabenkürzungen um 510 Millionen Euro beschließen will, hagelt es Proteste. So ruft die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) für heute um “fünf vor zwölf” zum Protest vor dem Rathaus auf. Sie befürchtet die weitere Zusammenlegung von Polizeikommissariaten, die Reduzierung der Bürgernahen Beamten und die Auflösung der Polizeihubschrauberstaffel. Der “Sparorgie des Senats” würden etwa 400 Stellen zum Opfer fallen, heißt es.

In offenen Briefen an Bürgermeister Ahlhaus hatten Uni-Präsident Dieter Lenzen sowie Richterverein, Anwaltsverein und Rechtsanwaltskammer vor Einsparungen in ihren Bereichen gewarnt. Die Gewerkschaft Ver.di ruft unter dem Motto “Gerecht geht anders” für den 30. September zu einer Menschenkette auf. Und Schauspielhausintendant Friedrich Schirmer war bereits aus Protest gegen mögliche Sparauflagen zurückgetreten.

Artikel aus dem Hamburger Abendblatt

Dieser Artikel ist am 15.09.2010 im Hamburger Abendblatt erschienen:

18.800 Eltern warten auf ihren Kita-Gutschein

Die Kita-Abteilungen beschäftigen sich derzeit mit nichts anderem. Die Bearbeitung kann trotzdem noch bis zu fünf Monate dauern.

HAMBURG. Die erhöhten Kita-Gebühren gelten seit drei Wochen. Rund ein Drittel der Hamburger Eltern mit Kita-Kindern wartet aber immer noch auf seinen Gutschein. 18.800 Anträge wurden noch nicht bearbeitet. Dabei haben die Bezirke bereits 15 zusätzliche Vollzeitstellen abgeordnet. In fast allen Kita-Abteilungen beschäftigen sich die Mitarbeiter mit nichts anderem mehr.

“Es ist unbegreiflich, wie der Senat mit Hamburgs Eltern umgeht”, sagt SPD-Kita-Expertin Carola Veit. “Erst werden Hals über Kopf die Gebühren erhöht, und dann schafft man es nicht, die Eltern zu informieren.” Veit hatte eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt. Demnach kann es bis zu fünf Monate dauern, bis die wartenden Eltern ihren Bescheid erhalten. Allein in Wandsbek gibt es noch 5000 offene Anträge. “Wir haben zwei zusätzliche Mitarbeiter eingeteilt, die Sachbearbeiter machen bereits freiwillig bezahlte Überstunden”, sagt Sprecherin Anne Bauer. Über die Bearbeitungszeit kann das Bezirksamt keine Auskunft geben.

“Die Eltern müssen darauf achten, dass ihnen so lange nur der alte Beitrag berechnet wird”, sagte Claudia Wackendorff vom Landeselternausschuss Kindertagesbetreuung. “Und sich auf mögliche Nachzahlungen einstellen.” Der Senat verweist auf die Empfehlung an die Eltern, den Antrag möglichst drei Monate vorher einzureichen.

Der NDR kommt zu Besuch

Durch den Zeitungsartikel im Hamburger Abendblatt ist das NDR-Fernsehen (Hamburg Journal) auf uns aufmerksam geworden.  Das Hamburg Journal möchte gerne einen kurzen zweieinhalbmitütigen Beitrag über das Thema „Männer in Kitas“ bei uns drehen. Gedreht wird morgen am Dienstag zwischen 10 und 12 Uhr.

Bei der Aktion geht es uns weniger darum, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, sondern den Kindern zu zeigen, wie Fernsehen funktioniert und wie die Leute vom Fernsehen überhaupt arbeiten. Das wir bestimmt eine spannende Erfahrung.

Hamburger Abendblatt vom 13./14. März 2010

ANTEIL DER MÄNNER SOLL IN KITAS WEITER STEIGEN

Fünf Hähne im Korb

VON FRIEDERIKE ULRICH • 13. März 2010

In der Kita Heidberg sind 40 Prozent der 13 Kindergärtner männlich. Sie verraten, was ihnen an dem Beruf Spaß macht, der immer noch als typisch weiblich gilt.

Hier ist Toben angesagt: Kita-Leiter Tobias Schubert (l.) mit den Kindergärtnern Frank Zeimys (M.) und Janno Schütte inmitten einer Kinderschar.
Foto: Thies Raetzke

“Haben Sie keine richtige Arbeit?” Diese Frage stellte ein älterer Herr Frank Zeimys, als er den 48-Jährigen mit zwei Krippenkindern auf dem Schoß in der Kita Heidberg sah. “Zum Glück passiert das nur selten”, sagt Zeimys. Als er vor 30 Jahren anfing, als Erzieher zu arbeiten, begegnete er viel mehr Vorurteilen. Auch seine Eltern haderten mit seiner Berufswahl: Es sei eine Frauentätigkeit, bringe nicht genug Geld ein – schon gar nicht, um eine Familie zu ernähren.

“In der Tat schafft man als Kindergärtner keine Reichtümer an”, sagt Zeimys. “Gleichaltrige Freunde verdienen im Monat 500 bis 1000 Euro mehr als ich.” Doch für ihn zähle das nicht. “Wichtig ist, dass mir mein Beruf Spaß macht. Es gibt keinen anderen Arbeitsplatz, an dem einem morgens so viele Menschen vor Freude um den Hals fallen.”

Die eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten, aber auch ein einseitiges Rollenverständnis sind sicher Gründe dafür, dass männliche Pädagogen in deutschen Kindertagesstätten noch immer die Ausnahme sind: Gerade mal drei Prozent der Beschäftigten sind Männer. Dabei sind sich Experten sicher, dass es mehr werden müssen. So galt bereits 1996 eine Quote von 20 Prozent als erstrebenswert; erst im vergangenen November wurde auf der zweiten Bundesfachtagung “Männer in Kitas” an die politisch Verantwortlichen appelliert, den “Anteil von männlichen Fachkräften in den Kindertageseinrichtungen signifikant und auf Dauer effektiv anzuheben”.

Der Arbeitgeber von Frank Zeimys, der Träger Kinderwelt e.V., betreibt in Hamburg 16 Kindertagesstätten. Hier hat man sich das Motto “Männer in die Kitas” auf die Fahnen geschrieben. Immerhin 16 Prozent der angestellten Pädagogen sind männlich. Damit die Zahlen weiter steigen, hat sich gerade eine interne Arbeitsgruppe gebildet, die Möglichkeiten zur Ermutigung männlicher Kollegen im Bereich Frühpädagogik ausloten möchte.

“Gerade in Zeiten hoher Scheidungsquoten sind Männer wichtige Bezugspersonen für Kinder. Weil Männer in Kitas und Grundschulen unterrepräsentiert sind, haben sie jedoch viel zu wenig Kontakt zu ihnen”, sagt Tobias Schubert (37), Leiter der Kita Heidberg und damit selber auf einem eher frauenspezifischen Posten tätig. Ein Problem hat der Sozialpädagoge damit nicht. Das mag auch daran liegen, dass er und Frank Zeimys nicht die einzigen “Hähne im Korb” sind: Außer den beiden gehören noch drei weitere Männer zum insgesamt 13-köpfigen Pädagogen-Team. Das wiederum sieht Schubert als Grund dafür, dass sich bei “Kinderwelt” mehr Männer als anderswo um eine Stelle als Erzieher bewerben.

Janno Schütte (31) arbeitet seit fünf Jahren als Kindergärtner, in der Kita Heidberg erst seit Anfang des Monats. Dass er Kinder mag, sieht man gleich: Geduldig lässt er zu, dass die kleinen Clara wie eine Klette an ihm hängt, macht Scherze mit Finn und streicht zwischendurch der kleinen Nele über den Kopf, die sich müde an ihn kuschelt. “Ein wesentlicher Vorteil am Beruf des Kindergärtners ist, dass man von den Kindern so freundlich und selbstverständlich behandelt wird”, sagt er. Anders als bei Frank Zeimys waren weder seine Familie noch seine Freunde skeptisch gegenüber seiner Berufswahl. “Ich habe mich noch nie diskriminiert gefühlt”, sagt Janno Schütte.

Frank Zeimys dagegen hat das schon erlebt. Während er über taktlose Fragen wie die des älteren Herrn hinwegsieht, haben ihn zwei Vorfälle geärgert: “Einmal hat eine Mutter abgelehnt, dass ich ihr Kind betreue. Sie hat sich allerdings später entschuldigt”, sagt er. “Schlimmer war, dass ich vor Jahren bei einem anderen Träger unterschreiben musste, dass ich keine Kinder wickle. Als ob ich, nur weil ich ein Mann bin, an ihnen herumfummeln würde.”

Generell habe er sich früher im Kreise des ausschließlich weiblichen Kita-Personals häufiger als “gerupfter Hahn im Korb” gefühlt – kritisch beäugt von Müttern und Vätern. Heutzutage sei das glücklicherweise nicht mehr der Fall. “Dadurch, dass hier männliche und weibliche Kindergärtner arbeiten, leben wir mit den Kindern wie in einer Großfamilie zusammen”, sagt Kita-Leiter Schubert. Für die Kinder sei der Kontakt zu männlichen und weiblichen Bezugspersonen nicht nur authentisch, sondern auch wichtig für ihre Entwicklung. “Mädchen und Jungen haben ein unterschiedliches Lern-, Spiel- und Kommunikationsverhalten”, sagt er. “Darauf können Männer und Frauen jeweils anders reagieren.” Männer könnten auf die Interessen der Jungen besser eingehen – sie nähmen Angst und Aggression anders wahr.

Auch Holger Brandes, Psychologe an der evangelischen Hochschule Dresden, plädiert dafür, mehr Männer in die Kitas zu holen. Er sagt: “Es geht nicht an, das Kinder bis zum Übergang in die weiterführende Schule fast nur von Frauen umgeben sind. Die wachsenden Probleme, die wir mit den Verhaltensauffälligkeiten von Jungen haben, sind ein ernstes Indiz dafür, dass hier Handlungsbedarf besteht.”

Frank menschlich gesehen im Hamburger Abendblatt

13. März 2010

MENSCHLICH GESEHEN

Der Kindergärtner

“Kinder zu begleiten ist das Sinnvollste, was man beruflich machen kann”, sagt Frank Zeimys (48). Er ist seit 30 Jahren Kindergärtner – und fühlt sich in diesem Beruf, der als typisch weiblich gilt, sehr wohl.

Dass er später etwas mit Kindern machen wollte, wusste er schon im Jungenalter. “Meine zehn Jahre ältere Schwester arbeitete in einem SOS-Kinderdorf”, sagt Zeimys. “Was dort für die Kinder getan wurde, hat mich sehr beeindruckt.”

Aufgewachsen ist der Erzieher, der vor zehn Jahren nach Hamburg kam, in der Nähe von Frankfurt. Hier machte er auch seine pädagogische Ausbildung und arbeitete in mehreren Kindergärten. Nach einer weiteren Ausbildung arbeitete er einige Jahre als Sprachtherapeut mit Kindern, kehrte aber doch in die Kita zurück. “Das ist einfach meine Berufung”, sagt er. Seine Hobbys Malen und Musizieren kann Zeimys da wunderbar einfließen lassen: Mit einem Kita-Kollegen zeichnet er gerade ein Kinderbuch, oft bringt er seine Gitarre mit, um mit den Kleinen zu singen.

Privat zupft er lieber am Bass: In mehreren Bands hat er schon Konzerte gegeben – sogar in der Markthalle und der Fabrik. Auch zum Paddel greift Zeimys gern. Früher saß er oft im Wildwasser-Kanu, heute fährt er lieber Wander-Kanu. Oft mit an Bord: Freundin Birgit und deren Tochter Klara, mit denen Frank Zeimys in Eppendorf wohnt.

(fru)